Immer, wenn man glaubt, die Unfähigkeit von Regierung und Opposition sei nicht mehr zu toppen, wird man eines Besseren belehrt. Die zuletzt viel gescholtene US-Politik hat es nur wenige Wochen nach dem Bekanntwerden des NSA-Skandals geschafft:
- im Kongress eine Gesetzesvorlage einzubringen, welche anlassloses Ausspitzeln der eigenen Bevölkerung einschränken soll
- über diese Vorlage zu debattieren
- darüber abzustimmen
- nach dem sehr knappen Scheitern der Vorlage parteiübergreifend darüber zu diskutieren, wie eine mehrheitsfähige Gesetzesvorlage aussehen könnte.
So viel zum angeblich protofaschistischen amerikanischen Überwachungsstaat, der bereits so von Geheimdiensten durchdrungen ist, dass er sich der Bestie nicht mehr erwehren kann.
Ganz im Gegenteil sieht es für mich so aus, als ob hier die Abwehr- und Selbstheilungsmechanismen einer quicklebendig und funktionsfähigen Demokratie zu besichtigen sind.
Einschränkend muss man natürlich sagen, dass US-Politiker das Monster durch Verabschiedung des Patriot Act und anderer Gesetze erst von der Leine gelassen haben. Aber nun scheinen viele Republikaner und Demokraten zu verstehen, dass sie zu weit gegangen sind und wollen die Sache zumindest teilweise wieder gerade biegen. Anders gesagt: Sie zeigen sich als reaktions- und lernfähig.
Und unsere Politiker? Man korrigiere mich, wenn ich da etwas verpasst haben sollte. Aber wenn ich richtig informiert bin, dann:
- hat keine der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bisher einen Gesetzentwurf präsentiert, der schärfere Strafen für das anlasslose Ausspitzeln der Bevölkerung vorsieht oder finanzielle Mittel zur Verfügung stellt, die es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichen würden, entsprechende Verstöße aufzudecken.
- gibt es keinen Verordnungsentwurf oder überhaupt irgendwelche erkennbaren ernsthaften Bestrebungen, die Kontrolle über die uns routinemäßig belügenden deutschen Geheimdienste zu verschärfen.
- scheinen kaum Streitgespräche oder Debatten zwischen wichtigen Parteivertretern von Regierung und Opposition im Bundestag, im Fernsehen oder anderswo in der Öffentlichkeit stattzufinden.
- gab es keine Abstimmungen zu den oben genannten Fragen im Bundestag
Wie denn auch, wenn man zu dem Thema nach sechs Wochen nicht mal eine Gesetzesvorlage zu Stande bringt. Natürlich ist mir klar, dass ein deutsches Antispionagegesetz vor allem proklamatorischen Charakter besäße, solange wir die Amerikaner (und die Russen, die Chinesen und die Briten) nicht dazu bringen, sich von der bulk interception zu verabschieden. Dennoch macht das, was gerade in Amerika passiert, auf erschreckende Weise deutlich, wie dysfunktional unser politisches System inzwischen ist.
Also bitte endlich mal aufwachen und meine Grundrechte beschützen. Sommerferien? Müssen dann vielleicht mal entfallen.
